Frauen im Koran – Gleichberechtigung in Algerien

Die Wegbereiterin für diese Entwicklung in Algerien ist die Frauenrechtlerin und Filmemacherin Assia Djebar (leider verstorben). Algerien zeigt in hervorragender Weise wie sich eine Gesellschaft mit den Frauen unter dem Koran entwickeln kann. Lesen Sie dazu einen Beitrag des Spiegels. einfach anklicken
Zitiert von www.spiegel.de ALGERIEN

Zigarettengeld für den Ehemann
Sie fahren Züge, sind Richterinnen und stellen das Gros der Studenten: In keinem anderen arabischen Land wird die Gleichberechtigung ähnlich ernst genommen.
An der kleinen Tankstelle am Boulevard Bougara im Zentrum Algiers herrscht schon am frühen Morgen Betrieb. Autos werden betankt, gewaschen und inspiziert. Hier muss Öl nachgefüllt werden, dort frisst der große Staubsauger Krümel aus den Polstern.
Moudjed Naima, 32, trägt einen schmuddeligen olivgrünen Arbeitsanzug, grüne Gummistiefel und ein Käppi. Die quirlige kleine Frau säubert einen weißen Kleintransporter innen und außen. Seit einem Jahr arbeitet sie hier, jeden Tag von 8 bis 19 Uhr, außer freitags. Eigentlich besitzt sie ein Diplom in Fotografie und Informatik, aber das half ihr wenig. Sie blieb ohne Job, bis sie an der Tankstelle nach Arbeit fragte. „Ich wusste, dass sie von einer Frau geführt wird“, erzählt sie. „Ich habe gleich angefangen.“
Naima ist verheiratet und hat zwei Kinder. Wie ihr Mann verdient sie rund 100 000 Dinar – gut 1000 Euro – im Monat, aber sie erhält außerdem noch Trinkgelder. „Ich bringe mehr Geld nach Hause als er“, sagt sie und lacht. Jeden Morgen gebe sie ihm 200 Dinar, „für seine Zigaretten und sein Mittagessen“. Verkehrte Welt in Algerien.
Seit dem Ende des mörderischen Bürgerkriegs zwischen radikalen Islamisten und der Regierung zu Beginn des neuen Jahrtausends befindet sich dieses Land im Umbruch. An den Oberschulen finden sich mehr Mädchen als Jungen; knapp 61 Prozent aller Universitätsabsolventen sind mittlerweile Frauen. „Für viele Frauen stellt die Ausbildung das einzige Fenster zur Außenwelt dar“, erklärt die Journalistin Zeinab Ben Zita. Je höher die Bildung, desto größer ist die Chance auf Eigenständigkeit.
Algerien ist ein junges Land. Etwa die Hälfte der Einwohner ist keine 25 Jahre alt. Vor allem unter den jungen Männern grassiert die Arbeitslosigkeit – junge Frauen dagegen sind häufig bildungsbeflissener, flexibler und nutzen ihre Chancen besser. Sie nehmen, was sie bekommen. Sie machen mittlerweile ein Drittel aller Beschäftigten aus, stellen mehr als die Hälfte des Universitätspersonals, 60 Prozent des Personals in den Krankenhäusern, 30 Prozent der Richter und über 55 Prozent der Journalisten. Im Parlament sitzen 30 Frauen, 11 Frauen haben höhere Regierungsposten inne, darunter die Ministerin für Kultur und drei Staatsministerinnen.
Die Regierung fördert diese Art der Emanzipation durch Studium und Jobs. Der Staat ist in Algerien überdies der größte Arbeitgeber.
Touazi Fatiha arbeitet für ein staatliches Unternehmen in einem für Frauen in der arabischen Welt untypischen Job. Sie ist seit sechs Jahren Bahnhofsvorsteherin im Agha-Bahnhof mitten in Algier. Ihr unterstehen 107 Angestellte, 7 davon sind Frauen. 80 Züge muss sie Tag für Tag durch ihren Bahnhof schleusen. Sie arbeitet meist zehn Stunden.
Auch Fatiha ging zuerst an die Universität, sie hat einen Abschluss in Biotechnologie, und fand bald einen Job in einem Lebensmittelkonzern. Drei Jahre blieb sie dort, dann ging die Firma pleite, und sie war arbeitslos. In ihrem Fachgebiet fand sie keine Anstellung mehr, deshalb bewarb sie sich auf eine Anzeige der Eisenbahngesellschaft, die nach Frauen mit Studienabschluss suchte.
Heute gibt es 14 Bahnhofsvorsteherinnen in Algerien, 5 davon in der Hauptstadt. Die Eisenbahngesellschaft beschäftigt Lokführerinnen, Technikerinnen und dazu Frauen in der Zugüberwachung. „Wir haben die gleichen Rechte und können genauso viel Verantwortung übernehmen wie die Männer“, sagt Fatiha. Sie ist das Musterbeispiel einer Karrierefrau: unverheiratet, ehrgeizig, intelligent. Sie lächelt viel, wirkt freimütig, ihre Autorität ist angenehm unaufdringlich. „Ich bin glücklich da, wo ich jetzt bin, und ich will in diesem Unternehmen Karriere machen, das ist mein Ziel.“
Leila Hamouda, 35, hat ebenfalls einen für arabische Verhältnisse ungewöhnlichen Job. Sie gehört einer Spezialeinheit der Polizei an. Seit 14 Jahren ist sie im Dienst, die einzige Frau in ihrem Revier. Sie trägt den dunkelblauen Overall ihrer Einheit, dazu ein blaues Käppi und eine Pistole im Halfter. Respekt sei nie ein Problem gewesen, sagt die zweifache Mutter. Sie erzielt gewöhnlich die besten Ergebnisse am Schießstand und war zudem im Team der Leibwächter für den Präsidenten.
In Algerien garantiert die Verfassung die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Allerdings hebt das seit 1984 geltende Familiengesetzbuch manchen Fortschritt wieder auf: „Im öffentlichen Leben sind die Frauen um ihre Rechte besorgt, aber in der Familie akzeptieren sie ihre Unterwerfung“, sagt Nadia Ait Zai, eine Juristin und Frauenrechtlerin.
Frauen können in Algerien seit 2005 die Scheidung vor Gericht einreichen, doch heiraten dürfen sie nach wie vor nicht ohne Zustimmung und Unterschrift eines männlichen Angehörigen. Im Familienrecht gelten sie weiter als Unmündige. „Wir sind auf dem Weg in eine moderne Gesellschaft, aber es ist nicht so offensichtlich, weil wir uns noch in einem Konflikt zwischen Tradition und Moderne befinden“, sagt Ait Zai.
An der kleinen Tankstelle im Zentrum von Algier ist Moudjed Naima mit dem Reinigen des weißen Kleintransporters fertig. Sie wedelt mit ihrem Tuch noch einmal kurz über die Armaturen und schaut sich dann um, was jetzt für sie zu tun ist.
AMIRA EL AHL
Von Amira El Ahl

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Datum: Samstag, 22. Oktober 2016 10:51
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